Mixtapes waren das Medium in der Jugendkultur der Achtziger. Auf analoge Audiokassetten (sog. „Mixkassetten“) überspielte man seine Lieblingshits zu einer individuellen Kollektion. Noch bis spät in die Neunziger waren im Bereich der elektronischen Musik Mixtapes populär, wo sich im Doppelkassettendeck DJ-Mixsets überspielen ließen. Die jeweiligen Kassettenhüllen wurden in Kleinarbeit stets mit einem passenden Flyer verziert, um dem Ding einen individuellen Touch zu geben. Im Vergleich zur CD waren Tapes um einiges umständlicher, und die Audioqualität teilweise Murks. Aber das war egal, denn Mixtapes waren cool. Zeit für eine kleine Rückschau.
Aufstieg und Fall der Audiokassette
Die heutzutage kaum noch erhältlichen Kompaktkassetten sind analoge Mini-Tonbänder, die seit den späten Sechzigern in Deutschland populär wurden. Neben der Schallplatte waren sie das meistgenutzte Audio-Medium der Siebziger und frühen Achtziger. Die Eltern nutzen sie, um ihre Hits aus dem Radio aufzunehmen. Die Großeltern hatten ihre Hörspiele und Volksmusik schön geordnet auf Kassette. In der Schule standen in den frühen Achtzigern noch viele alte Tonbandgeräte, die von den Lehrkörpern als neueste Innovation gepriesen wurden. Und wir Grundschüler standen in der Pause lässig mit Walkman auf dem Schulhof, in der Größe eines Backsteins, hörten die neuesten Hits aus England und den USA. Kompaktkassetten waren populär, und keine Stereoanlage kam 1984 ohne Kassettendeck aus.
Seit Mitte der Achtziger feierte dann die CD ihren Siegeszug. Alben sowie Singles wurden von der breiten Masse immer mehr als digitale Variante bevorzugt. In den Neunzigern waren dann Kompaktkassetten im Mainstream out – der Absatz von Leerkassetten aber noch recht hoch, da auf Tape kopierte CDs fürs Autoradio noch nützlich waren. In unserer kleinen Subkultur elektronischer Musik waren Tapes aber weiterhin das Mittel der Wahl.
1994 – Erinnerung an die Blütezeit der Mixtapes
Spulen wir die Zeit bis ins Jahr 1994 zurück. Es war die Zeit vor dem Abitur, wo man am Wochenende in lokalen Clubs zu Hardtrance und Techno den Schulalltag wegfeierte. Und bekannte DJs wie Steve Mason, Carl Cox oder Mario De Bellis live hat auflegen sehen. Unter der Woche langweilte man sich vormittags auf der Oberstufe, hing abends mit den Kumpels vor dem Super Nintendo, philosophierte über Gott und die Welt, rauchte im Blubber öliges Haschisch und hörte nebenbei Mixtapes, die man untereinander getauscht und kopiert hatte. Viele Tapes waren Club-Mitschnitte, teilweise furchtbar gemixt und übersteuert. Ein paar wenige waren aber so gut, dass sie zum perfekten Soundtrack jener Zeit wurden. Das waren dann meist Sets von unbekannten DJs, die irgendjemand kannte und die über mehrere Stationen bei einem als x-te Kopie gelandet sind.
1995 – Mitschnitte der Experience-Show
Ein Jahr später begann ich damit, Steve Masons Experience Show auf dem Soldatensender BFBS regelmäßig auf Tape aufzunehmen. Da im Gegensatz zu heute Speicherplatz kostbar war, beschränkte ich mich meist auf die Zeit seiner Show, wo er „in the mix“ ging. Zwischen 1995 und 1997 kamen dabei um die 20 Tapes heraus, also circa 40 Ausgaben seiner legendären Show. Da Leertapes bei mir immer eine unterschiedliche Länge hatten – mal waren es 60 und im Bestfall 100 Minuten –, kam es schon mal vor, dass am Ende ein paar Minuten fehlten.
Ausgrabung des verlorenen Schatzes
Die Jahre vergingen und die Zeiten änderten sich, und man veränderte sich in ihnen. So verschoben sich sukzessiv die Interessen und auch der Musikgeschmack. Es reizten andere Musikrichtungen, und das eher auf CD anstelle von Kassette. Die beiden Holzkästen mit den vielen Tapes verschwanden dann Ende der Neunziger im Keller. Und das für sehr viele Jahre.
Als ich 2013 den Keller aufräumte, grub ich unter einer Staubschicht dieses Relikt meiner Jugend dann wieder aus. Was war das denn nochmal? Da hielt ich mein Sammelsurium von ca. 80 alten Tapes in den Händen. Da waren sie wieder. Die Mitschnitte der Experience Show, viel Jungle und Hardcore sowie Live-Sets aus schon lange geschlossenen Clubs. Glücklicherweise gab es noch das alte Doppelkassettendeck, das mindestens genauso viel Staub angesetzt hatte. Also rein mit dem Ding und … erst einmal eine gefühlte Ewigkeit zurückspulen. Ja, den Komfort einer CD hatten die alten Tapes noch nicht. Lautes Klack, dann auf „Play“ gedrückt … und da war er wieder, nach fast 20 Jahren, der Soundtrack von damals als knisternde Wiedergabe eines analogen Tapes.
Mission Digitalisierung
Ich war froh, dass alles aufbewahrt wurde. Die Technik war inzwischen deutlich gealtert, der Sound aber keinesfalls. Die Audioqualität ließ natürlich zu wünschen übrig, man war inzwischen ja anderes gewohnt. Aber das störte wenig. Was also mit diesen Artefakten anstellen? … Genau, digitales Remastering. Heute, vier Jahre später, habe ich mich der Sache dann auch angenommen. Und so werden in der nächsten Zeit peu à peu viele meiner alten Tapes im extra dafür angelegten YouTube-Kanal landen. Leider liegt der zeitliche Aufwand einer einzelnen Tape-Seite schon bei fast zwei Stunden. Digitalisieren, Remastern, Video rendern, hochladen. Das frisst Zeit, daher wird es wohl eine Weile dauern bis alle Tapes als digitale Variante online existieren. Aber das ist die Sache schließlich wert.
Links
Pauls Mitschnitte von Steve Masons Experience Show
2 Kommentare
Audiokassetten bleiben für mich eine der besten Medien, die es je gab. Ich meine rein von der Handhabung her. Bespielen der leeren Tapes war kinderleicht – ob von CD, LP oder anderer MC. Man konnte das Ding überall (offline) hören: Walkman, Stereo Anlage, Ghettoblaster, Auto. Ich konnte an exakt derselben Stelle an einem anderen Ort weiterhören. Vom Walkman in die Anlage oder vom Auto in den Walkman. Kein Problem bei Offline-Zugriff oder beim Bluetooth Pairing. Und zu guter Letzt: Ich konnte das Tape einfach einem Freund geben und er konnte weiterhören oder von vorn anfangen.
Dazu war und ist das Ding eine haptische Freude. Du hast die Plastikhülle, die jedes Kind und jeder Opa öffenen kann. Du hast das Tape bei dem man sofort sieht ob es am Anfang startet oder mittendrin. Und du hast das Inlay bei dem du (je nach Handschrift) sofort erkennst was dich auf der Kassette erwartet. Ich bin ein grosser Freund der modernen Medien und Streaming Dienste, aber kein digitales Produkt ist so einfach zu bedienen wie die gute alte Audiokassette.
Eine Sache, über die ich hier auch einen ganzen Artikel schreiben könnte, sind Mix-Tapes. Die Tapes, die man für Freunde zusammengestellt hat. Individuell zusammengestellt von Techno bis Bravo Hits als Geschenk oder als Geste der Freundschaft. Ein individueller Mix von Tracks ist einfach die persönlichste Form von Musik. Und die von Hand beschriebenen Hüllen oder wie bei dir zusammengeschnittene Zeitschriftenwerbung machen Mix-Tapes zu einem Kunstwerk. Das ist im Zeitalter der Terrabyte Festplatten und unlimited Streaming einfach gar nicht mehr möglich.
PS: Ich hätte gern Fotos deiner Tapes für stevemasonexperience.info, denn die handgemachten Inlays sehen hammergeil aus!
Kann dem nur zustimmen. In Sachen Haptik sind Tapes im Vergleich zu digitalen Produkten deutlich überlegen. Was für Bilder der Tapes brauchst du denn? Die Inlays sind übrigens fast alle aus Club- bzw. Party-Flyern erstellt.